Gemeinsam gegen Energiearmut kämpfen

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Interview. Im Energieeffizienzgesetz (EEffG) hat der Nationalrat die Errichtung einer staatlichen Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Energiearmut beschlossen. Diese wurde beim Klima- und Energiefonds angesiedelt und am 15. März gemeinsam mit Klimaschutzministerin Leonore Gewessler der Öffentlichkeit präsentiert. Der KEM-Newsletter geht mit Caroline Nwafor, der Leiterin der Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Energiearmut (kea), ins Detail.

Frau Nwafor, bitte stellen Sie sich unseren Leser:innen kurz vor!

Caroline Nwafor: Ich bin seit 2021 beim Klima- und Energiefonds tätig und war zunächst in den Programmen Smart Cities und Energy Transition im Einsatz. Seit circa einem Jahr bin ich für das Programm Energiesparen im Haushalt: Beratung und Gerätetausch verantwortlich, das  einkommensschwachen Haushalten den kostenlosen Tausch alter, ineffizienter Haushaltsgeräte ermöglicht. Nun leite ich auch die Koordinierungsstelle, die ich von Beginn an mit aufgebaut habe.

Wie groß ist das Problem der Energiearmut in Österreich? Können Sie es bitte in Zahlen fassen?

Energiearmut ist für Außenstehende oft nicht sichtbar und wird in einem wohlhabenden Land wie Österreich daher häufig unterschätzt. Doch auch hierzulande besteht Handlungsbedarf: In Österreich sind rund 7,5 Prozent der Haushalte von Energiearmut betroffen, das sind circa 300.000 Haushalte*.

Ende 2022 wurde mit elf Prozent die höchste Inflation seit 70 Jahren gemessen. Energie und Treibstoffe sind die wesentlichen Preistreiber. Vor allem für armutsbetroffene und armutsgefährdete Haushalte sind die Mehrausgaben durch die hohen Preissteigerungen aufgrund niedriger verfügbarer Haushaltseinkommen und geringer Ersparnisse kaum oder nicht zu stemmen.

Generell stellt eine leistbare Energieversorgung aber auch häufig ein Problem für die sogenannte Mittelschicht dar – 37,1 Prozent der Haushalte geben an, dass sie sich zwar die für ihren Haushalt benötigte Energie leisten können, aber nur, weil sie den Verbrauch verringert haben. Was aus Energieeffizienzsicht vielleicht begrüßenswert ist, kann – wenn die Einsparungen zu stark ausfallen – negative gesundheitliche und soziale Konsequenzen für die Haushalte beinhalten.

Was bedeutet Energiearmut für Betroffene?

Energiearmut zeigt sich in den betroffenen Haushalten zum Beispiel dadurch, dass sie ihre Energierechnungen nicht oder nicht rechtzeitig zahlen können oder sich beim Heizen der Wohnräume beziehungsweise bei der Nutzung von Warmwasser massiv einschränken müssen.

Mit Energiearmut gehen viele weitere Herausforderungen einher, angefangen bei gesundheitlichen Problemen (etwa aufgrund von zu kalten oder feuchten Wohnräumen, aber auch bei fehlendem Schutz vor Hitze), über Stress und Stigmatisierungserfahrungen bis hin zu schlechteren Bildungschancen und sozialer Ausgrenzung. Darum ist es wichtig, Energiearmut präventiv zu vermeiden und dort, wo sie bereits existiert, Betroffene gezielt zu unterstützen.

Welche Personengruppen sind besonders betroffen?

Besonders betroffen sind Haushalte mit höherem Energiebedarf, wie etwa Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen. Auch Frauen und insbesondere alleinerziehende und ältere Frauen sind aufgrund struktureller Ungleichheiten bei der Einkommensverteilung sowie ihres sozioökonomischen Status und des geschlechtsspezifischen Gefälles bei Betreuungs- und Pflegeaufgaben besonders von Energiearmut betroffen. Seit dem Anstieg der Energiepreise Mitte 2021 waren auch zunehmend viele Menschen mit mittleren Einkommen mit Herausforderungen bezüglich der Leistbarkeit von Energie konfrontiert. Die betroffenen Personen wohnen zudem häufiger in älteren Gebäuden, in kleineren Wohnungen und zur Miete.

Welche Aufgaben hat die kea?

Die Bekämpfung von Energiearmut ist eine interdisziplinäre Aufgabe, in deren Rahmen viele Aspekte und Handlungsfelder miteinander verbunden und verknüpft werden müssen – vom Wohnbau über das Sozialsystem bis hin zur Energiepolitik. Dafür braucht es eine gute Abstimmung und Koordination – insbesondere zwischen Gebietskörperschaften, Behörden, sozialen Organisationen, Energieversorgungsunternehmen und anderen Akteur:innen in diesem Bereich. Genau dafür gibt es die Koordinierungsstelle, die für diese Vernetzung sorgt, die nötigen Informationen zur Bekämpfung von Energiearmut bereitstellt und alle Beteiligten mit ihrer Expertise unterstützen soll.

Wie läuft diese Vernetzung?

Die Koordinierungsstelle befindet sich noch im Aufbau, die Vernetzung und sektorübergreifende Zusammenarbeit ist aber von Beginn an eine unserer Prioritäten. Im März fand die erste Sitzung der Kommission zur Bekämpfung von Energiearmut** statt – ein Gremium, das als beratendes Organ dem Klimaschutzministerium regelmäßig Empfehlungen zur Bekämpfung von Energiearmut vorlegen soll.

Wir haben außerdem ein interdisziplinäres Forum zur Bekämpfung von Energiearmut ins Leben gerufen. In dessen Rahmen können sich weitere Expert:innen und Organisationen einbringen, um gemeinschaftlich, fachkundig und lösungsorientiert mit der kea Maßnahmen und Empfehlungen gegen Energiearmut zu entwickeln. Das Forum setzt sich aus Expert:innen, Vertreter:innen und Akteur:innen aus Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen, die umfassende Fachkenntnisse oder Erfahrungen mit Energiearmut oder verwandten Themen wie Sozial-, Klima-, Energie- und Wohnpolitik mitbringen. Ziel dieser Zusammenarbeit ist die Identifikation aktuell relevanter Themen im Bereich Energiearmut und die gemeinsame Erarbeitung konkreter Lösungen im Rahmen von themenspezifischen Arbeitsgruppen. Zusätzlich dient das Forum dem intensiven Austausch unter den Mitgliedern, um voneinander zu lernen und vernetzt an Lösungen zu arbeiten.

Armut hat viele Ursachen. Oft wird sie „vererbt“ oder man rutscht in sie, zum Beispiel durch Unfall, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit oder Sucht. Kurz, die meisten von Energiearmut Betroffenen haben zusätzlich eine Reihe anderer Probleme zu bewältigen. Wie erreicht man diese Menschen trotzdem?

Genau, Armut ist in den wenigsten Fällen selbst verschuldet, sondern hängt ganz stark mit herausfordernden Erlebnissen und strukturellen Faktoren zusammen. Die meisten Menschen mit Armutserfahrungen verfügen über geringe Zeitressourcen und sind in ihrem Alltag mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert. Das gilt es anzuerkennen und in den eigenen Aktivitäten zu berücksichtigen. Es ist uns ein großes Anliegen, die Perspektive von Menschen mit Armutserfahrung in unsere Arbeit einzubeziehen und Informationen möglichst niederschwellig zur Verfügung zu stellen. Wir haben unsere Website so gestaltet, dass Privatpersonen möglichst rasch notwendige Informationen finden. Die Kerninhalte der Webseite gibt es außerdem in acht Sprachen. Es ist auch wichtig, mit Organisationen, die bereits guten Kontakt zu diesen Zielgruppen haben, zusammenzuarbeiten, seien es Sozialorganisationen, Pensionist:innenverbände und andere. Sie alle verfügen über wertvolle Erfahrung, Netzwerke und Expertise, die man so früh wie möglich aktivieren und nutzen sollte.

Es gibt sicher auch Betroffene, die beispielsweise durch motorische oder geistige Beeinträchtigung nicht (mehr) in der Lage sind, online eine Förderung zu beantragen oder eine kostenlose Energieberatung zu vereinbaren. Könnten hier Sozialarbeiter:innen oder andere Helfer:innen diese Arbeiten übernehmen?

Ja, das sollte bei der Gestaltung von Förderungen auch berücksichtigt werden. Wir im Klima- und Energiefonds versuchen hier mit gutem Beispiel voranzugehen und haben unser Förderprogramm so gestaltet, dass Haushalte möglichst wenig Aufwand bei der Beantragung und Abwicklung haben:

Das Programm Energiesparen im Haushalt: Beratung und Gerätetausch des Klima- und Energiefonds ermöglicht derzeit kostenlose Energieberatungen und den kostenlosen Austausch alter oder defekter Haushaltsgeräte. Bei diesem Programm unterstützen Sozialarbeiter:innen und Energieberater:innen die Menschen bei der Antragstellung. Unser Umsetzungspartner, die Caritas, kann telefonisch, persönlich und online kontaktiert werden.

Nach einer Erstberatung bei der Caritas werden dann gemeinsam mit Energiesparberater:innen die Elektrogeräte in den Haushalten auf ihren Energieverbrauch überprüft und einfach umsetzbare Energiesparmaßnahmen gemeinsam besprochen. Wenn im Rahmen dieser Energiesparberatung festgestellt wird, dass die vorhandenen Elektrogeräte ersetzt werden sollten, ist ein kostenloser Tausch von bis zu zwei Geräten (Herd, Kühlschrank, Waschmaschine oder Geschirrspüler) inklusive Transport und Installation möglich. Nähere Informationen dazu gibt es auf der Caritas-Website oder auch telefonisch unter 05 17 76 300. 

Oft wird Hilfe auch aus Scham über die eigene Armut nicht angenommen. Was kann man dagegen tun?

Viel zu oft wird Armut in der öffentlichen Debatte als individuelles Versagen dargestellt. Das stimmt aber nicht. Tatsächlich wird Armut vererbt – Österreich hat hier auch im EU-Vergleich starken Handlungsbedarf – oder ist die Folge schwieriger Umstände, wie etwa Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Trennung. Wir müssen dafür sorgen, dass Armut als strukturelles Problem erkannt wird. Wenn Menschen Scham empfinden, liegt das nämlich auch daran, dass sie regelmäßig durch diskriminierende Äußerungen oder Debatten sowie auch durch strukturelle Bedingungen beschämt werden. 

Gleichzeitig müssen wir daran arbeiten, dass Unterstützungsleistungen niederschwellig angeboten werden und leichter von den Betroffenen genutzt werden können. Gut sind leicht zugängliche Informationen und Behördenwege, noch besser sind in manchen Fällen automatisierte Prozesse, bei denen Betroffene nicht erst Leistungen von sich aus beantragen müssen.

Welche Rolle können die Klima- und Energie-Modellregionen beim Thema Energiearmut einnehmen?

Die Herausforderungen von Energiearmut sind regional sehr unterschiedlich. Zum Beispiel gibt es große Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Strukturen, aber auch Heizsysteme und Energieträger sowie Wohnsituationen unterscheiden sich von Region zu Region. KEM-Manager:innen sind deshalb für uns sehr wichtige, regionale Player:innen und Multiplikator:innen. Sie kennen die Situation und die Rahmenbedingungen in ihrer Umgebung und sind für die Verbreitung von relevanten Informationen, zum Beispiel über bestehende Unterstützungsleistungen, zentral. Auch innovative, praxisnahe Projekte, wie etwa die Südtiroler Siedlung in Fürstenfeld, zeigen die Möglichkeiten, die KEM-Manager:innen haben. Die Koordinierungsstelle steht dabei gerne jederzeit beratend mit Infomaterialien, Fachexpertise und Vernetzungsangeboten zur Verfügung. Wir freuen uns aber auch über Anfragen und Kontaktaufnahme von anderen interessierten Akteur:innen, die zur Bekämpfung von Energiearmut in Österreich beitragen möchten.­

 

* Statistik Austria Befragung „So geht’s uns heute“, 4. Quartal 2023

** In der Kommission vertreten sind: Vertreter:innen aus Klimaschutzministerium, Sozialministerium, Finanzministerium, Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Bundesländern, Städte- und Gemeindebund, Armutskonferenz, Regulierungsbehörde E-Control, Österreichischer Energieagentur und Österreichs E-Wirtschaft.

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Weitere Informationen:

Koordinierungsstelle zur Bekämpfung der Energiearmut