Von den Niederlanden lernen

3 Radtour

Interview. Wie man einen hohen Radverkehrsanteil zustande bringt, das sah sich eine 25-köpfige Delegation aus Oberösterreich in Groningen an, das oft auch als Europas Fahrrad-Hauptstadt bezeichnet wird. Exkursionsleiterin Sabine Watzlik (KEM Vöckla-Ager) und Herbert Pölzlberger (KEM Eferding) berichten über ihre Eindrücke und das, was sie auf dem Gepäckträger in ihre Klima- und Energie-Modellregionen mitbringen.

KEM-Newsletter: Die KEMs Vöckla-Ager und Eferding haben im Oktober eine Exkursion nach Groningen unternommen. Wie kam es dazu?

Sabine Watzlik: Die Idee kam mir, als ich einen Film über den Alltags-Radverkehr in Groningen bei einer Bürgermeisterrunde gezeigt habe, und deren Kopfschütteln geerntet habe. Danach haben wir zwei Jahre lang um die Förderung als transnationales LEADER-Projekt gekämpft.

Herbert Pölzlberger: Wir haben 2015 begonnen, den Radverkehr zu forcieren. Als Sabine die Exkursion im Rahmen der Arge KEM OÖ vorschlug, sagte ich gerne zu.

 

Groningen gilt als vorbildlich bei der Radverkehrsinfrastruktur. Welche Eindrücke bringen Sie von dort mit nach Hause?

Watzlik: Sehr viele. Zum Beispiel, dass 80 Prozent der SchülerInnen mit dem Rad zur Schule fahren. In Groningen gibt es kaum Stopps für RadfahrerInnen. An manchen Kreuzungen gibt es sogenannte All-Green-Regelungen. Das heißt, FußgängerInnen und RadfahrerInnen haben aus allen Richtungen grün, die Autos müssen warten. So wird vermieden, dass Menschen von rechts abbiegenden Autos übersehen und überfahren werden. Und ganz allgemein: Groningen zeigt, was es heißt, den Straßenraum fair aufzuteilen und die klimafreundliche Mobilität zu fördern. Im städtischen Bereich sind sie damit schon sehr weit. Aber im ländlichen Raum wird das Fahrrad für Alltagswege auch noch zu wenig genutzt.

Pölzlberger: Besonders beeindruckt haben mich die großen Freiräume und Bewegungsräume mit den zahlreichen Straßencafés und natürlich die riesigen Fahrrad-Abstellanlagen. Schon außerhalb der Stadt ermöglichen es große Parkplätze, sogenannte Hubs, auf das Rad oder in den Bus umzusteigen. Die Niederländer haben ja schon vor 40 Jahren mit der Förderung des Radverkehrs begonnen. Sie hatten dabei von Anfang an die Volksgesundheit im Kopf. Die meisten von uns bewegen sich im Alltag viel zu wenig.

 

Wie fährt es sich auf den Bicycle-Highways? Entspannt nebeneinander oder von RennradlerInnen bedrängt?

Pölzlberger: Es fährt sich gut, da gab es überhaupt kein Problem. Ein wenig Bauchweh hatte ich eher im Stadtzentrum wegen der unglaublich vielen RadfahrerInnen. Aber es kam zu keiner einzigen gefährlichen Situation. Auch die AutofahrerInnen in Groningen nehmen Rücksicht auf RadlerInnen und warten geduldig.

Watzlik: Wenn man langsamer fährt, muss man rechts bleiben und nicht nebeneinander fahren, dann ist es o. k.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren für den hohen Radverkehrsanteil in Groningen?

Pölzlberger: Da gibt's viele: Einerseits fahren die meisten Kinder schon mit acht Jahren selbständig mit dem Rad zur Schule, die ganz Kleinen werden oft mit dem Lastenrad gebracht und abgeholt. Andererseits ist Autofahren in den Niederlanden weitaus kostspieliger als bei uns. Allein das Benzin ist um 30 Prozent teurer. Zudem beweisen die Stadtverantwortlichen Mut zum Testen neuer Ideen. So wurde beispielsweise eine Straße, die quer durch einen Park führt und täglich von 10.000 Autos befahren wurde, probeweise für ein Jahr gesperrt. Statt zu protestieren, passte sich die Bevölkerung an – und die Sperre für den Autoverkehr blieb bestehen.

Insgesamt wurde die Mobilität so organisiert, dass man seine Ziele im Stadtzentrum mit dem Rad doppelt so schnell erreicht wie mit dem Auto. Dazu wurde das Zentrum in vier Teile geteilt, die mit Rad- und Fußwegen direkt verbunden, mit dem Auto aber nur über eine Ringstraße erreichbar sind.

Watzlik: Groningen und andere niederländische Städte haben viel Geld in den Radverkehr investiert, zahlreiche Bicycle-Highways, Über- und Unterführungen sowie eigene Fahrradbrücken errichtet. Allein in die Überland-Radwege rund um Groningen flossen 125 Millionen Euro. Bike & Ride wurde mit Fahrrad-Boxen und Containern für E-Bikes, mit  überdachten Radabstellanlagen und Parkhäusern für Fahrräder attraktiv gemacht. Ganz wichtig ist auch, Shoppingzentren vom Stadtrand wieder näher zur Mitte zu rücken. Das stärkt den Fahrradverkehr und die Innenstädte.

 

Welche Maßnahmen für den Radverkehr sollten Ihrer Meinung nach in Österreich übernommen bzw. ergriffen werden?

Watzlik: Wir brauchen auch in Österreich die Planung und Umsetzung von funktionierenden Alltagsradwegen statt Investition in noch mehr und schnellere Straßen oder in weitere Parkflächen. Wir sollten auf eine neue Raumordnung mit Geschäften im Ort, statt Einkaufszentren auf der grünen Wiese setzen.

Pölzlberger: In Groningen haben RadfahrerInnen auf dem Radweg immer Vorrang. Hierzulande wird man von der Polizei gestraft, wenn man auf einer Radüberfahrt nicht die vorgeschriebenen zehn km/h einhält. Aber wenn man ständig abbremsen und beschleunigen muss, kostet das viel Kraft. Daher sollten wir auch in Österreich den RadfahrerInnen Vorrang geben. Ebenso wichtig ist die strikte Trennung von Rad- und Gehwegen. Zum Ausbau des Radwegnetzes müssten Straßen- und nicht Gehsteigflächen verwendet werden. Wir benötigen weitaus mehr Radabstellanlagen – und natürlich auch viel mehr Geld für die gesamte Radverkehrsinfrastruktur.

 

Haben Sie schon konkrete Pläne für ein bisschen holländische Fahrradkultur in Ihren KEMs?

Watzlik: Ja unsere Planung ist fertig, jetzt folgt eine Roadshow mit Informationen für die Bevölkerung durch die Gemeinden. Wir organisieren Workshops mit dem niederländischen Spezialisten für Alltagsradwege Sjors van Duren für Schulzentren, Betriebe und Gemeinden.

Pölzlberger: Ja, wir haben ein teilregionales Entwicklungskonzept für den Stadtkern von Eferding und die drei Umlandgemeinden erstellt. Darin wurden unter anderem die künftigen Hauptradrouten festgelegt. Jetzt hängt es von den finanziellen Mittel ab, welche Maßnahmen wie rasch umgesetzt werden können.

 

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei der Umsetzung!