Interview. Seit 1978 kämpft er für die Umwelt und den Klimaschutz. Die Entwicklung bis heute war enorm. Aber natürlich geht ihm vieles zu langsam. Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds, über die kommenden Herausforderungen im Zuge des Klimawandels, über Gegen- und Anpassungsstrategien.
KEM-Newsletter: Kürzlich haben Sie in einem Interview mit Ö3 gesagt, dass wir bald nicht mehr vom Klimawandel, sondern von einer Klimakatastrophe sprechen müssen. Wie haben Sie das gemeint?
Ingmar Höbarth: Wir hatten heuer den heißesten Mai seit 150 Jahren. Wie die Wissenschaft prognostiziert hat, geht der Winter zunehmend übergangslos in den Sommer über. Unwetter nehmen tendenziell zu. Uns alle hat überrascht, dass das heuer so früh und so heftig passiert ist. In der Steiermark hat es doppelt so viel geregnet wie sonst. Gleichzeitig litten andere Regionen unter extremer Trockenheit.
Österreich ist durch seine Topographie besonders stark vom Klimawandel betroffen. Wir müssen vermehrt mit Starkregen, Stürmen, dem Auftauen der Permafrostböden in den Alpen, mit Murenabgängen und Hochwässern rechnen. Das betrifft natürlich eine Reihe von Wirtschaftssektoren wie den Tourismus und die Land- und Forstwirtschaft, ebenso die Infrastruktur. Was sich hier anbahnt, sind die ersten Zeichen. Wenn diese Extremwetterereignisse noch heftiger werden, haben wir es bald mit katastrophenähnlichen Zuständen zu tun.
Wie sollen wir darauf reagieren?
Der Klima- und Energiefonds hat mit KLAR! ein europaweit einzigartiges Programm gestartet. Damit unterstützen wir Regionen bei der Klimawandelanpassung. So erstellen wir beispielsweise gemeinsam mit der ZAMG regionale Klimasimulationmodelle bis 2050. Daraus lässt sich ableiten, mit welchen Folgeschäden zu rechnen ist und welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.
Da geht es unter anderem darum, wie viel Platz Fließgewässer und die Kanalisation benötigen, um die Wassermassen auch in 20, 30 Jahren noch aufnehmen zu können. Wir schützen damit auch Gemeinden vor Fehlinvestitionen wie, um beim Beispiel zu bleiben, neuen Kanalrohren mit zu geringer Dimension. 20 KLAR!-Regionen haben nun mit der Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen begonnen.
Können Sie ein weiteres Beispiel für Anpassungmaßnahmen nennen?
Die Trockenheit in vielen Regionen und der Borkenkäfer setzen den Fichten stark zu, die noch dazu oft in Monokulturen angepflanzt wurden. In mehreren Regionen werden daher nun Baumarten gesetzt, die auch in mehreren Jahrzehnten noch gut gedeihen werden.
In den Social Media kursieren Postings mit der Aussage „Würden wir uns für den Erdball so sehr interessieren wie für den Fußball, hätten wir mit dem Klimawandel keine Probleme“. Warum ist Ihrer Meinung nach dieses für kommende Generationen so entscheidende Thema vielen Menschen herzlich egal?
Das ist tatsächlich eine große Herausforderung, weil das Thema so abstrakt ist. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen auf dem Tisch, auch das grundlegende Bewusstsein ist in der Bevölkerung vorhanden. Aber so richtig begreifen wir die Dringlichkeit des Klimaschutzes erst, wenn es draußen 40 Grad hat, die Ernte ausgefallen ist oder das Hochwasser bei der Tür hereinschwappt.
Aber wir müssen jetzt langfristige Weichenstellungen vornehmen. Ein jetzt angeschafftes Auto ist meist zehn bis zwölf Jahre auf der Straße, Gebäude werden nur alle 30 bis 40 Jahre saniert. Wir müssen daher heute die richtigen Entscheidungen treffen. Aus diesem Grund unterstützt der Klima- und Energiefonds die E-Mobilität sowie Mustersanierungen, also die umfassende thermische Sanierung von Gebäuden, die nach Abschluss der Arbeiten kaum noch Energie benötigen oder sogar mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen.
Wir beobachten immer wieder, dass dort, wo Klimaschutzprojekte umgesetzt werden, auch die Bereitschaft der Bevölkerung steigt, die richtigen Entscheidungen zu treffen oder sogar in Projekten mitzuarbeiten. Denn die Menschen erkennen die Vorteile, seien es eingesparte Energiekosten, mehr Lebensqualität oder auch die Faszination, bei einem zukunftsweisenden Projekt mit dabei zu sein. Ich denke da natürlich an unsere Klima- und Energie-Modellregionen (KEM) oder an die Klimaschulen. Auch die KEM-Investitionsprojekte für Photovoltaikanlagen und Ladestationen sind eine Erfolgsstory.
Könnte man die Menschen eventuell auf der emotionalen Ebene erwischen? Schließlich sind wir ÖsterreicherInnen doch auf unsere Umwelt stolz, aber den Schmetterlingen und Schwalben geht's gar nicht gut.
Das ist traurig. Es zeigt, wie wichtig es ist, Landwirtschaft so zu betreiben, dass nebenbei auch noch eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt existieren kann. Die emotionale Ebene ist sicher eine Seite der Medaille. Es ist wichtig, Betroffenheit auszulösen – Stichwort hungernde Eisbären. Aber Emotionalisierung kann auch zu Ohnmachtsgefühlen führen. Um diese zu vermeiden, ist es daher genauso wichtig aufzuzeigen, was man selbst tun kann, was wir in der Gemeinde, in Österreich oder in der Welt tun können.
Um die Paris-Ziele auf den Punkt zu bringen: Bis spätestens 2050 müssen wir unsere Energieerzeugung, die Wirtschaft, den Großteil unserer Gebäude und unsere Mobilität nahezu CO2-neutral machen, um den Temperaturanstieg auf eineinhalb bis zwei Grad einzugrenzen. Ist diese Erkenntnis Ihrer Meinung nach schon ausreichend in der Politik und der Bevölkerung angekommen?
Das Klimaabkommen von Paris war Meilenstein für die internationale Staatengemeinschaft. Wir sehen heute auch, dass die Eskapaden eines Donald Trump die Einigkeit der anderen Staaten noch gestärkt haben. Das Abkommen ist eine wichtige Weichenstellung, weil es davor noch nie ein derartiges Agreement der Staatengemeinschaft gegeben hat.
Die Umsetzung in den einzelnen Ländern ist nun allerdings Bohren harter Bretter. Da geht's ans Eingemachte.
Ziele bis 2050 sind abstrakt. Viele von uns werden dann nicht mehr leben. Daher ist es entscheidend, Zwischenziele zu definieren und für die verschiedenen Sektoren Szenarien zu entwickeln. Aber natürlich treten auch immer wieder unerwartete Ereignisse ein. So hätte vor zehn Jahren niemand gedacht, dass ein Mann namens Elon Musk mit Tesla die gesamte Automobilbranche ins Schwitzen bringen würde.
Um dieses abstrakte Ziel der Dekarbonisierung zu veranschaulichen, gestalten wir im Klima- und Energiefonds konkrete Modelle, wie Zukunft aussehen kann. Die Klima- und Energie-Modellregionen und ihre mittlerweile 4.100 Klimaschutzprojekte sind das Paradebeispiel dafür. Wenn man sieht, die Nachbarin ist vom E-Car-Sharing begeistert, überlegt man sich's auch selbst. Genau auf diese Art von Motivation setzen wir in den KEMs und das funktioniert seit vielen Jahren ausgezeichnet.
Wie sieht Ihre Vision aus, um dieses ambitionierte Ziel in kaum mehr als 30 Jahren zu erreichen?
Die Vision ist bereits definiert: 95 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2050. Jetzt geht es um konkrete Strategien. Im Klima- und Energiefonds setzen wir in vielen Programmen auf Multiplikatoreffekte. Wir zeigen anhand konkreter Beispiele vor, was möglich ist – etwa bei den Mustersanierungen oder E-Mobilitätsregionen. Aus diesem Know-how kann gelernt werden, die Ideen, Konzepte und/oder Techniken können und sollen nachgeahmt werden.
Natürlich müssen wir auch weiter erforschen – und die Ergebnisse werden immer präziser –, wie der Klimawandel in Österreich funktioniert, welche Schäden er anrichtet, aber auch, welche Anpassungsmaßnahmen sich bewähren.
Sie arbeiten Ihr gesamtes bisheriges Leben für den Umwelt- und Klimaschutz. Was betrachten Sie als Ihren bislang größten Erfolg?
Seit 1978 setze ich mich für Veränderungen für eine positive Zukunft ein. Seither gab es viele Meilensteine, die dazu beigetragen haben, dass es heute ein hohes Bewusstsein in Sachen Umwelt- und Klimaschutz gibt – Hainburg, die Kampagne gegen grenznahe AKWs oder das Gentechnik-Volksbegehren. Heute kann es sich keine Partei mehr leisten, gegen den Klimaschutz zu sein. Dazu ist dieses Politikfeld zu wichtig geworden.
Ich gab 1987 für Global 2000 meine erste Pressekonferenz zum Klimawandel vor exakt vier Journalisten. Die meinten, wir bräuchten für unsere Warnungen mehr wissenschaftlichen Rückhalt. Was damals utopisch klang, wurde inzwischen von der Realität überholt. Heute haben wir das IPCC als globale wissenschaftliche Instanz. Es gab also durchaus eine enorme Entwicklung, aber natürlich geht mir vieles zu langsam. Ich sehe die Notwendigkeit, schneller voranzukommen, aber ich sehe auch die Potenziale für die Wirtschaft und die Industrie im Zuge der Energie- und Mobilitätswende.
Eine Herausforderung und gleichzeitig ein wichtiges Element der Energie- und Mobilitätswende sind Energiespeicher. Allerdings sind Batterien und Wärmespeicher nach wie vor teuer. Wie schätzen Sie deren weitere technische Entwicklung und Chancen auf dem Markt ein?
Energiespeicher sind generell noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase, obwohl es bereits durchaus brauchbare Speicher auf dem Markt gibt. Aber wir rechnen mit weiteren Verbesserungen und niedrigeren Preisen durch Serienproduktion. Lithium-Ionen-Batterien sind durch die verstärkte Nutzung in Elektrofahrzeugen schon deutlich billiger geworden. Sie kosten nicht einmal mehr halb so viel wie vor fünf Jahren.
Im Wärmebereich starten wir nun auch in KEMs mit Projekten, in denen es darum geht, wie und wo man Wärme in großem Stil speichern kann. Es gibt auch schon konkrete Vorhaben wie Big Solar Graz. Das könnte der größte Wärmespeicher Europas werden. In der Folge könnten auch thermische Speicher zu einem Geschäftsmodell werden. Denn in einem Energiesystem, das auf erneuerbaren Energien beruht, kommt Speichern eine zentrale Bedeutung zu. Das schafft Nachfrage.
Das Programm Klima- und Energie-Modellregionen wird nächstes Jahr zehn Jahre alt. Welches Potenzial sehen Sie künftig für die KEMs?
Ich bin wirklich der Überzeugung, dass der Ansatz, die Energie- und Mobilitätswende mit den Menschen vor Ort zu gestalten, erfolgversprechend ist. Die KEMs entwickeln sich durchwegs sehr gut. Ich bin gespannt, wie viele neue Regionen sich heuer bewerben werden.
Ich erlebe die ungebrochene Begeisterung der 91 KEM-ManagerInnen. Die BürgermeisterInnen sehen, was es bringt, weg von Öl und Gas zu kommen – und wenn mehr Wertschöpfung in der Region bleibt. Wir unterstützen die KEM-ManagerInnen mit Schulungen, um diese Dynamik in alle Regionen zu tragen. Sehr gut funktionieren auch die KEM-Leitprojekte, die explizit zur Nachahmung in anderen Regionen anregen sollen. So können wir neue Ideen und neue Konzepte rasch österreichweit verbreiten.
Danke für das Interview.