KEM-Manager im Porträt. Eine nachhaltigere Mobilität, Bildung und Bewusstseinsbildung sowie der Ausbau der Photovoltaik liegen ihm am Herzen. Schon nach 14 Monaten als KEM-Manager in der Klima- und Energie-Modellregion Biosphärenpark Großes Walsertal kann Andreas Bertel beachtliche Erfolge verbuchen.
Wenn Andreas Bertel auf dem Bänkle hockt, dann nicht aus Faulheit, sondern zu Testzwecken. Denn im Vorjahr hat er im Großen Walsertal die Mitfahrbänkle ins Leben gerufen – und seither überprüft er persönlich, wie gut das System des institutionalisierten Autostoppens funktioniert. „In den sechs Gemeinden* des Großen Walsertals leben gerade einmal rund 3.400 Menschen. Hier kennt jeder jeden“, sagt Bertel. Und nachdem er in Raggal aufgewachsen ist und lebt, kennt man auch ihn. „Meistens muss ich nur drei Minuten warten, bis mich jemand mitnimmt. Und das Mitfahren gibt mir die Gelegenheit zu persönlichen Gesprächen über den Klimaschutz und die KEM.“
Mitfahren. Die Idee zum östlich von Vorarlberg meist als Mitfahrbankerl bezeichneten System entstand 2021 im regionalen Energieteam. In der Folge konnten die Organisator:innen des renommierten Kulturfestivals Walserherbst animiert werden, im Herbst 2021 einen Mobilitätsschwerpunkt unter dem Motto „verkehr(t)“ zu setzen. Das war natürlich die perfekte Gelegenheit, um der Bevölkerung das neue Mobilitätsangebot vorzustellen: Wird die gelbe Fahne beim Bänkle gehisst, heißt das: „Bitte nimm mich mit!“
Auch die Medien berichteten ausführlich. Mit sieben solcher Bänkle begann es – und bald wurde der Ruf nach mehr laut. So wurden heuer im Frühling zwei weitere Bänkle im benachbarten Walgau errichtet, um eine Verknüpfung mit den nächstgelegenen Bahnhöfen in Ludesch und Thüringen herzustellen. Nach einer Mobilitätserhebung im Vorjahr stehen nun auch die Einführung einer Schnellbuslinie für Pendler:innen und Anrufsammeltaxis zur Diskussion. Tagsüber verkehren zwar die Regionalbusse im Stundentakt, doch schon am frühen Abend wird der Fahrplan dünn.
Früh übt sich. „Ein Highlight für mich war auch das Projekt Sonnenkindergarten, an dem sich alle Kindergärten der KEM ein Jahr lang beteiligt haben“, erklärt Bertel. Dazu gab es einen Forschungskoffer mit Bastelmaterial, Bausätzen und PV-Spielzeug, ein umfangreiches Projekthandbuch mit Spielen und Liedern sowie eine Einschulung der Kindergärtner:innen. Parallel dazu konnten auch zwei Kindergärten mit 10-kWp-Photovoltaikanlagen ausgestattet werden, bei einigen anderen war das Dach bereits voll mit PV.
Mit Bürgerbeteiligung wurde die 33-kWp-Photovoltaikanlage auf dem biospährenpark.haus finanziert. Das Besondere daran: Die Rückzahlung erfolgt in Form von Gutscheinen, die bei Nahversorgern und im biospährenpark.haus selbst eingelöst werden können. Denn hier gibt es auch einen Laden mit regionalen Erzeugnissen wie Käse, Kräutertee, Holzprodukten oder Schafwollsocken. Die Gemeinden installierten 2021 weitere 80 kWp Photovoltaik. Und auch die Bevölkerung ließ sich nicht lumpen –so konnte im Vorjahr die PV-Spitzenleistung in der KEM insgesamt von 2.200 auf 3.300 kWp hinaufkatapultiert werden.
Parisziele. Bertel ließ es sich nicht nehmen, das viel beachtete Klimaschutz-Verhaltensexperiment „Paris–Vorderwald“ seiner Kollegin Monika Forster (KEM Vorderwald) auch für das Große Walsertal zu adaptieren. 13 Haushalte versuchten, im Rahmen von „Paris–Biosphärenpark“ einen Monat lang mit jenen persönlichen CO2-Emissionen auszukommen, die gerade noch als klimaverträglich gelten. Dabei hilft die von Kairos ent- und weiterentwickelte App Ein guter Tag hat 100 Punkte. 100 Punkte sind das Ziel. Mit durchschnittlich 180 Punkten stiegen die ohnedies bereits sehr klimabewussten Haushalte ein und konnten ihre Emissionen im Testmonat Oktober 2021 auf 148 Punkte herunterschrauben.
„Die größten CO2-Einsparungen gab es in der Mobilität durch zur Verfügung gestellte Verkehrsverbundstickets, E-Bikes, E-Roller und E-Autos sowie im Bereich der Ernährung“, fasst Bertel zusammen. Aus den selbst gemachten Erfahrungen entwickelten die Teilnehmer:innen zahlreiche Handlungsempfehlungen für die Politik. Die Palette reichte von sehr konkreten lokalen Wünschen nach mehr Gehsteigen, besserer Straßenbeleuchtung und mehr öffentlichen Verkehrsangeboten am Abend über eine ausgeweitete Herkunftskennzeichnung und eine ehrliche CO2-Bepreisung für alle Produkte und Dienstleistungen bis zu einer besseren Abstimmung der Homeoffice-Regeln mit den Nachbarländern – insbesondere mit Liechtenstein und der Schweiz.
Abwechslungsreicher Werdegang. Bertel wuchs auf dem elterlichen Bauernhof auf, absolvierte eine Lehre als Maschinenmechaniker bei Hilti und besuchte anschließend die HTL in Bregenz. Er installierte als Auslandsmonteur Hafenmobilkräne und war als Konstrukteur bei einem Pelletskesselhersteller tätig. Mit dem Bachelorstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der FH Dornbirn komplettierte er seinen Bildungsmix aus Theorie und Praxis. Seit 2008 arbeitet Bertel im Energieinstitut Vorarlberg im e5-Programm.
Von 2013 bis 2015 war Bertel KEM-Manager der Energieregion Blumenegg. „Die Energieregion und die gemeindeüberspannenden Teams gibt es noch bis heute“, freut sich Bertel. Im Großen Walsertal war er schon lange als e5- und KEM-QM-Berater tätig, bevor er im April 2021 das KEM-Management von Albert Rinderer übernahm. „Er ist ein super Typ, hat großartige Arbeit geleistet und ist mir im regionalen Energieteam noch immer eine Stütze“, sagt Bertel über seinen Vorgänger.
Vor zehn Jahren errichtete Andreas Bertel im Tal das erste Einfamilienhaus in Passivhausqualität, das er mit seiner Frau, seiner vierjährigen Tochter und seinem sechsjährigen Sohn bewohnt. In seiner kargen Freizeit spielt er Trompete im Musikverein Raggal oder Tennis. Und wenn die Familie mal eine regionale Veranstaltung besucht, kann sie dank sechs Gemeinderatsbeschlüssen sicher sein, dass sie g'hörig feschta, was am ehesten mit „ordentlich feiern“ zu übersetzen ist. Das inkludiert gut, viel, aber auch anständig, gesittet – und das heißt heutzutage natürlich auch möglichst umwelt- und klimaschonend.
* Blons, Fontanella, Raggal, Sonntag, St. Gerold und Thüringerberg haben sich schon 2009 zur KEM Biosphärenpark Großes Walsertal zusammengeschlossen.