Unter einem glücklichen Stern

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KEM-Manager im Interview. Riesengroß war die Freude über den Climate Star 2021 in der Kategorie Bewusstseinsbildung bei Gregor Danzinger, seinen beiden Mitarbeiterinnen und den sechs Bürgermeistern der KEM und KLAR Retzer Land. Doch nicht nur die professionelle Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch die Substanz der zahlreichen Projekte zeichnet die Region aus.

KEM-Newsletter: Rund 400 BürgerInnen kamen zum Startschuss der KEM und KLAR Retzer Land, der Klima Gala. Wie gelang es Ihnen, ein so breites Interesse bei der Bevölkerung zu erreichen?

Gregor Danzinger: Wir hatten nicht mit einem so großen Ansturm gerechnet und waren überwältigt. Wir haben versucht, den Klimaschutz mit anderen Themen zu verknüpfen, haben für musikalische Begleitung gesorgt und konnten ZIB-Moderator Gerhard Maier gewinnen, um durchs Programm zu führen. Natürlich haben wir die Veranstaltung mit Plakaten, Presseaussendungen sowie auf Facebook und Instagram beworben. Hilfreich war sicher auch die Kooperation mit regionalen Betrieben, die auf dem „Markt der Möglichkeiten“ ihre Produkte angeboten und dafür natürlich auch selbst die Werbetrommel gerührt haben.

 

Über 200 BürgerInnen haben in 15 PV-Anlagen auf öffentlichen Gebäuden mit einer Spitzenleistung von 493 kWp investiert. Haben Sie mit einer so großen Beteiligung gerechnet?

Irgendwie schon. Wir haben dieses Konzept ja nicht selbst erfunden, es gab gute Erfahrungen aus anderen Klima- und Energie-Modellregionen. Wir stellten die

Region in den Vordergrund und boten eine sinnvolle Investitionsmöglichkeit in der eigenen Gemeinde an. Für manche mag auch die Verzinsung mit 1,5 Prozent entscheidend gewesen sein. Die Kernbotschaft war, dass wir jährlich 15 Millionen für Erdöl und Erdgas ausgeben und nun die Gemeinden vorangehen, um unsere eigene Energie zu produzieren. In Zellerndorf waren die Beteiligungen innerhalb von drei Stunden ausverkauft, in den anderen Gemeinden nach drei bis sieben Tagen.

 

Wie viel Potenzial für weitere Bürgerbeteiligungsanlagen sehen Sie noch?

Es stehen bereits vier weitere Kraftwerke mit zusammen 62 kWp kurz vor der Umsetzung. Damit kommen wir dann auf eine Gesamtleistung mit der schönen Zahl von 555 kWp.

Die KEM Retzer Land testet im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts eine Energiegemeinschaft, in der lokal erzeugter Strom auch lokal verkauft werden kann. Welche Erfahrungen haben Sie bisher damit gemacht?

Wir stehen kurz vor der Realisierung des Projekts. 30 Haushalte werden ein Jahr lang im Rahmen eines Testbetriebs mit ihrem selbst produzierten Sonnenstrom handeln. Wir kooperieren dabei mit der eFriends Energy GmbH. Diese bietet die dafür benötigte Technik im Zählerkasten an. Das Gesetz zu den Energiegemeinschaften hängt ja leider noch immer im Nationalrat. Wir konzentrieren uns daher vorerst vor allem auf den Ausbau der Photovoltaik auf öffentlichen und privaten Gebäuden sowie bei Betrieben. Diese sollen in Zukunft dann langsam miteinander verschmelzen.

Natürlich denken wir auch über Stromspeicher nach, die den Eigenverbrauch in der Region steigern und als Blackout-Vorsorge dienen sollen. Die Stadtgemeinde Hardegg ist hier Vorreiter: Sie hat alle ihre Kraftwerke und Gebäude mithilfe von eFriends miteinander verbunden und kann ihre Stromüberschüsse so optimal nutzen.

 

Sie haben die Klima- und Energie-Modellregion und die Klimawandel-Anpassungsmodellregion Retzer Land gleich zu Beginn zu UNSER KLIMA Retzer Land umgetauft. Was sind die Hintergründe?

Die Idee kam uns recht schnell. Die Begriffe KEM und KLAR waren der Bevölkerung anfangs ja kaum bekannt. Wir wollten nicht bei jedem Gespräch zuerst erklären müssen, wofür sie stehen und ob wir jetzt gerade in der Rolle der KEM oder der KLAR sind. Also haben wir eine Dachmarke geschaffen, wo alles rund ums Klima vereint ist, und die auch regional verankert ist. Die Unterschiede ergeben sich dann ja ohnehin durch die Themensetzungen. Wir operieren somit als Klimamodellregion Retzer Land und verwenden „UNSER KLIMA Retzer Land“ als Logo.

 

UNSER KLIMA Retzer Land betreibt eine ansprechende Website, hat auf Facebook bereits mehr als 650 FollowerInnen und ist auch auf Instagram vertreten. Wie wichtig sind Ihre Online-Aktivitäten für die Bewusstseinsbildung in der Region?

Für uns ist das sehr wichtig. Am liebsten hätten wir jeden einzelnen Bewohner und jede einzelne Bewohnerin als FollowerIn. Außerdem haben wir unsere Aktivitäten zu Beginn der Corona-Pandemie gestartet – und das Internet war nahezu die einzige Möglichkeit, Leute zu erreichen. Zugute kam uns, dass es in unserer Region bereits starke Online-Communitys gab. Der Climate Star verschaffte uns zusätzlichen Rückenwind. Erfreulicherweise haben wir in den Social Media noch keinen einzigen „blöden“ Kommentar bekommen.

Wie gelang es Ihnen, zwei Projektmitarbeiterinnen für die KEM und KLAR Retzer Land zu bekommen?

Wir haben das schon in der Einreichung so geplant – je 30 Wochenstunden für KEM und KLAR. Das heißt, ich arbeite 30 Wochenstunden und meine Mitarbeiterinnen Stefanie Leitner und Theresa Brandstetter jeweils 15-20 Stunden.

 

Unterstützung erhalten Sie auch von Volunteers. Wie kam es dazu und welche Aufgaben erfüllen die Jugendlichen?

Das ist bei der Planung der KLIMA GALA entstanden. Wir merkten rasch, dass wir Unterstützung bei der Organisation der Veranstaltung benötigen. Unsere 10 bis 15 Volunteers, lauter junge Erwachsene, sind weiterhin sehr engagiert und beteiligen sich beispielsweise im Rahmen unserer Online-Stammtische. War ihre Tätigkeit bisher eher anlassbezogen, wollen wir sie nun noch stärker ins Boot holen. Sie können provokanter, frecher und aktivistischer agieren als wir. Nun möchten wir sie in einen Kreativprozess einbeziehen – zur Ideenfindung, wie wir künftig die anstehenden notwendigen Veränderungen in unserer Region konstruktiv, aber auch witzig kommunizieren können. Als Vorbild dient uns dabei die seinerzeitige Kampagne der KEM Wiener Neustadt zum Thema Radfahren. (Vgl. hier.)

 

Das Retzer Land hat mit Trockenheit und Winderosion zu kämpfen. Welche Strategien verfolgen Sie diesbezüglich?

Die Themen Trockenheit und Wasser poppen von selbst auf. Daher möchten wir sie im Projekt WIWA über die ganze Region spannen. Da stehen auch die Gemeinden voll dahinter. Wir werden zunächst aufzeigen, was man dagegen tun kann, und die Bevölkerung stark einbeziehen. Die Menschen und vor allem die Landwirte wissen selbst sehr gut, wo man bestehende Drainagen beseitigen oder Wasser stauen könnte. Gleichzeitig wollen wir in den nächsten Monaten pro Gemeinde relativ rasch ein Pilotprojekt umsetzen. Dazu konnten wir die Agrabezirksbehörde als Kooperationspartner im Rahmen des Flurplanungsprozesses gewinnen.

 

Die Mobilität im Retzer Land wird stark vom Auto dominiert. Welche Chancen sehen Sie für einen höheren ÖV- und Radverkehrsanteil?

Wir versuchen das Thema Mobilität mit Alltagssituationen zu verknüpfen. Für die VolksschülerInnen richten wir gerade einen SchulGehBus – auch bekannt als Pedibus – ein und versuchen so, aus dem Schulweg ein Erlebnis zu machen. Den Kleinsten haben wir für zwei Monate klimaaktiv Kindergärten-Mobilitätsboxen zur Verfügung gestellt. Die KindergärtnerInnen waren zunächst skeptisch, haben danach aber begeistert nachgefragt, ob sie die Mobilitätsboxen in den nächsten Jahren wieder haben könnten.

Wir wollen nicht direkt an die Bevölkerung appellieren, ihre Autos stehen zu lassen, sondern regen ein Belohnungssystem mit EcoPoints an. Die Metallbaufirma Ploberger in Retz praktiziert das bereits seit rund drei Monaten. Je nachhaltiger ihre MitarbeiterInnen zur Arbeit kommen, umso mehr EcoPoints erhalten sie. Diese können dann in regionale Warengutscheine für den Weltladen, einen Bauernladen oder eine Buchhandlung umgetauscht werden. Gleichzeitig steigt bei den Menschen, die auf den Bus oder das Fahrrad umsteigen, das Bewusstsein für nötige Verbesserungen beim ÖV-Angebot und der Radverkehrsinfrastruktur.

 

Sie möchten also auf indirektem Weg eine Nachfrage für nachhaltige Mobilität schaffen?

Genau. Insgesamt ist uns die Verknüpfung mit Kooperationspartnern sehr wichtig – zum Beispiel mit Unternehmen, Schulen, Eltern oder der Kirche, mit der wir bei der „Langen Nacht der Kirche“ zusammenarbeiten. Mit lokalen Wirtshäusern möchten wir ein Menü der Zukunft entwickeln – aus regionalen Lebensmitteln oder vielleicht auch mit Zutaten, die wir in den nächsten Jahrzehnten hier selbst anbauen werden. Ein Landwirt aus Oberretzbach hat bereits einen Olivenhain mit 60 Bäumen angelegt.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die nächsten Projekte!