Interview. Im Rahmen des Projekts „Visionzero KEM“ ermittelte die Österreichische Energieagentur den Verbrauch fossiler Energie und die Treibhausgasemissionen der Klima- und Energie-Modellregion Amstetten Süd. Projektleiter Lorenz Strimitzer über die Grundlage dieser Daten und die daraus abgeleiteten 41 Maßnahmen für eine „Visionzero“, also den sukzessiven Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter.
Der Klima- und Energiefonds beauftragte die Österreichische Energieagentur mit der Analyse des gesamten Energieverbrauchs einer „prototypischen KEM“ und mit der Formulierung wichtiger Handlungsansätze im Sinne des Ausstiegs aus fossiler Energie.
Dazu Klimafonds-Geschäftsführer Ingmar Höbarth: „Die Österreichische Bundesregierung strebt im Rahmen der integrierten Klima- und Energiestrategie #mission2030 den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft bis 2050 an. Die nun vorliegenden 41 kurz-, mittel- und langfristigen Klimaschutzmaßnahmen geben den Klima- und Energie-Modellregionen ‚Hebel‘ in die Hand, die diese Transformation beschleunigen.“
KEM-Newsletter: Herr Strimitzer, warum haben Sie die KEM Amstetten Süd als Forschungsobjekt gewählt?
Lorenz Strimitzer: Die KEM Amstetten Süd wurde für „Visionzero KEM“ ausgewählt, da die eher ländlich geprägte Region mit ihren Ebenen im Norden und den Bergen im Süden alle relevanten Wirtschaftszweige beherbergt: Land- und Forstwirtschaft, Gewerbe, Industrie und Handel. So wollten wir sicherstellen, dass die im Projekt formulierten Handlungsoptionen auch für andere Regionen Österreichs aussagekräftig sind.
Wie gelangten Sie an die umfangreichen Daten?
Eine der wichtigsten Datengrundlagen war die Heizkessel-Datenbank der KEM Amstetten Süd. Darin sind alle Kessel samt Installationsdatum und Angaben zum eingesetzten Brennmaterial aufgelistet. Weiters flossen Daten aus zahlreichen Studien ein. Was den Konsum betrifft, griffen wir beispielsweise auf Zahlen aus einem Forschungsprojekt des Instituts für industrielle Ökologie und von Joanneum Research zurück. Diese Studie berechnete die mit den Im- und Exporten verbundenen CO2-Emissionen. Im Agrarbereich haben wir in Workshops mit der Landwirtschaftskammer Daten aus Ökobilanzen mit den tatsächlichen regionalen Gegebenheiten, etwa was Maschinen- und Düngereinsatz betrifft, abgeglichen, um möglichst exakte Zahlen zu erhalten.
Ihre Herangehensweise an das Projekt Visionzero KEM unterscheidet sich von herkömmlichen CO2-Berechenungsmodellen. Inwiefern?
Für typische CO2-Bilanzen sieht man sich die Produktionszahlen in einer bestimmten Region an. Ein alternativer Ansatz dazu ist, die Konsumseite zu betrachten, also zum Beispiel auch den Fernseher oder das Handy aus China und alle anderen Importe in die Bilanz einzubeziehen. Wir haben beides berücksichtigt und stellen in Visionzero KEM damit die Summe aller beeinflussbaren Faktoren dar: die Produktion und den Energieverbrauch vor Ort, die Exporte und die Importe.
Gab es bei der Datenanalyse größere Überraschungen?
Dass der Wärmebereich, die Mobilität und der Stromsektor wichtige Faktoren für den Energieverbrauch sind, war von Anfang an klar. Dass der Konsum aber einen so großen Anteil an den Emissionen hat, war ein gewisser Aha-Effekt. Für den Konsum wird durchschnittlich ein Drittel mehr fossile Energie verbraucht als für die private Mobilität samt Urlaubsflügen.
Sie haben 41 zielführende Maßnahmen herausgefiltert, wovon ein Teil sofort, ein Teil im Lauf der nächsten Jahre und Teil langfristig bis 2050 realisiert werden könnten. Welche Maßnahmen sollten die KEMs vorrangig umsetzen, weil dort besonders viel Treibhausgase mit vergleichsweise wenig Aufwand einzusparen sind?
Prinzipiell muss man sagen, dass nicht alle KEMs über einen Kamm geschoren werden können und man sich immer die regionalen Gegebenheiten und Besonderheiten ansehen muss. Zu den aktuell wichtigsten Maßnahmen zählt jedoch die Steigerung der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen, vor allem aus Photovoltaik und besonders auf Gebäuden mit hohem Eigenstrombedarf wie für Kühlung oder Klimatisierung. Der Ausbau der Photovoltaik sollte mit der Elektromobilität gekoppelt werden, die ja nur dann Sinn macht, wenn die Fahrzeuge mit Ökostrom betrieben werden. Sehr wichtig ist es auch, Ölheizungen durch erneuerbare Heizsysteme zu ersetzen. Hier gibt es Förderungen von Bund und Ländern, aber man muss die BesitzerInnen von Ölkesseln aufklären und ihnen sinnvolle Möglichkeiten aufzeigen. Diese drei Bereiche sollten die KEMs besonders forcieren. Denn hier gibt es schon heute wirtschaftliche und von der Öffentlichkeit akzeptierte Lösungen.
Welche Aspekte der anstehenden Transformation unseres Energie- und Mobilitätssystems sowie unseres Konsumverhaltens halten Sie für besonders schwierig?
Langfristig ist sicher der Konsum ein sehr schwieriges Thema. Hier muss noch viel Bewusstsein geschaffen werden. Doch Bewusstsein und tatsächliches Verhalten sind zwei Paar Schuhe. Das zeigt sich auch bei der Mobilität, bei der der Wandel nach wie vor relativ langsam vor sich geht. Andererseits bin ich überzeugt, dass die E-Mobilität nicht aufzuhalten sein wird.
Reichen die aufgezeigten 41 Maßnahmen aus, um eine KEM mehr oder weniger fossilfrei zu machen? Oder kann die Energiewende nur gelingen, wenn auch Bund und Länder, EU und die internationale Staatengemeinschaft mitspielen?
Natürlich liegen nicht alle Emissionen im direkten Einflussbereich der KEM-ManagerInnen. Und vollständig fossilfrei zu werden, ist derzeit noch eine Illusion, wenn Sie beispielsweise an den Bereich Kunststoffe denken. Aber mit dem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energie, nachhaltiger Mobilität und dem Ersatz von Ölheizungen könnte zeitnah ein Drittel des bisherigen fossilen Inputs eliminiert werden. Wenn dies innerhalb der nächsten Jahre gelingt, wäre das schon ein riesiger Erfolg.
In der Österreichischen Energieagentur sprechen wir inzwischen nicht mehr über eine „Visionzero“, sondern über die „Missionzero“. Die Vision, das Ziel ist klar. Nun geht es um die Mission, also darum, so rasch wie möglich mit konkreten Maßnahmen zu beginnen.
Danke für das Gespräch.