In fünf Schritten zur Fernwärme der Zukunft

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„Fossil Phase Out“ heißt das Leitprojekt der KEMs Weiz-Gleisdorf, Hartberg und Klimafreundlicher Naturpark Almenland unter der fachlichen Leitung von AEE INTEC. Das Ziel ist ein Leitfaden, um in fünf Schritten zu innovativen und defossilisierten Nah- und Fernwärmenetzen zu gelangen. Die Stadtgemeinde und die Stadtwerke Gleisdorf fungieren als Pilotregion und Vorreiter.

In den allermeisten österreichischen Wärmenetzen wird „Biowärme“ nicht pur, sondern mit einem fossilen Anteil von bis zu 20 Prozent an die Kundschaft geliefert – in den urbanen Räumen (z. B. Wien, Graz) ist der Anteil an fossiler Energie noch deutlich höher. Mit Erdgas und Heizöl können Fernwärmebetreiber flexibel auf Lastschwankungen reagieren – zudem war fossile Energie über Jahrzehnte hinweg billig. Jetzt sind nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen nachhaltige Alternativen gefragt. Städte und Gemeinden stehen daher vor der dringenden Aufgabe, den Nah- und Fernwärmesektor vollständig von fossilen Energieträgern zu befreien. Dies erfordert einen systemischen und integrierten Ansatz, der in mehreren Schritten umgesetzt wird und innovative, lokal anwendbare Planungs- und Umsetzungsmethoden berücksichtigt.

Das Projekt „Fossil Phase Out“ (FPO) widmet sich deshalb der Entwicklung eines weitreichend anwendbaren Ansatzes, in dem effizient und effektiv die Energieraumplanung mit Defossilierungsplänen für Nah- und Fernwärme kombiniert wird. Der Fokus liegt dabei auf der strategischen und ganzheitlichen Planung sowie Erweiterung bestehender Wärmenetze, vermittelt aber ebenso Grundlagen, die für die Neuerrichtung von Relevanz sind.

Am Anfang steht eine Analyse des Bestands: Gebäude, ihre Lage und ihr Raum- und Prozesswärmebedarf, die vorhandene Energieinfrastruktur sowie lokal verfügbare Potenziale für erneuerbare Wärme. „Als Grundlage hierfür haben wir in der KEM Weiz-Gleisdorf vorab die über 26.000 Heizungssysteme der insgesamt 15.000 regionalen Gebäude erfasst“, freut sich KEM-Manager Christian Hütter über die Synergien mit weiteren Projekten der KEM. Im zweiten Schritt begab sich das Projektteam auf die Suche nach lokalen erneuerbaren Wärmequellen und ungenutzten Abwärmepotenzialen aus Industrie und Gewerbe.

An einem Strang ziehen. Für die Schritte drei und vier braucht es ein möglichst gedeihliches Zusammenspiel der relevanten Akteur:innen wie Gemeinden, Wärmenetzbetreiber, weitere Stakeholder:innen und auch der Klima- und Energie-Modellregionen. Im Fokus steht die Energieraumplanung, das Entwickeln von Szenarien, das Festlegen und die Entwicklung einer Wärmewendestrategie samt Umsetzungs- und Monitoringkonzept.

Wo können Potenziale bei Energieeffizienz und -aufbringung genutzt werden? Wie sieht der ideale Aufbringungsmix aus? Welche Speicher- und Leitungskapazitäten sind nötig? Wo kann das Netz verdichtet und wo soll es erweitert werden? Im Idealfall kommt am Ende des Prozesses ein konkreter Maßnahmenkatalog zustande, der vom Gemeinderat und den Stakeholder:innen abgesegnet werden kann. Danach geht es in die letzte Phase, die Detailplanung und die Erstellung eines Umsetzungsfahrplans.

Biomasse, Sonne, Wärmepumpe. Dass Gleisdorf exemplarisch für dieses Projekt herangezogen wurde, hat einen guten Grund. Denn hier ist vieles von dem, wovon andere Regionen träumen, bereits umgesetzt. „Zukünftig stammt die Fernwärme in Gleisdorf zudem zu fast 100 Prozent aus erneuerbarer Energie“, erklärt Joachim Kelz von AEE INTEC. Und sein Kollege Franz Mauthner ergänzt: „AEE INTEC arbeitet schon seit mehr als zehn Jahren mit den Stadtwerken Gleisdorf zusammen, in denen wir zahlreiche Projekte gemeinsam realisieren konnten.“

In Gleisdorf setzte man schon 2012 erstmals auf Solarthermie als Ergänzung zu Hackschnitzeln und Pellets, was im Sommer eine wesentliche Unterstützung der Biomassekessel ermöglicht. Die Stadtwerke verkaufen ihre Wärme daher stolz als „solare Biowärme“. Mit dem Know-how der AEE INTEC und einer Förderung im Rahmen des Großforschungsprogramms ThermaFLEX wagte man sich auch an eine Großanlage, die dem Abwasser der Kläranlage Wärme entzieht. 2022 begannen die Bauarbeiten für die neue Fernwärmezentrale, die nun jährlich rund 4.000 MWh aus Abwasser und Faulgas ins Fernwärmenetz einspeist. Gleichzeitig wurde das Netz laufend erweitert.

Strategisch denken. „Es geht um eine kluge und vorausschauende Ausbauplanung für die Energieerzeugung und das Wärmenetz – in Abstimmung mit dem Wohnbau und einer Diversifizierung der Wärmequellen. In einigen Regionen ist Geothermie ein großes Thema, in anderen ist beispielsweise industrielle Abwärme verfügbar. Die Einsatzmöglichkeiten für Wärmepumpen in Verbindung mit unterschiedlichen Quellen wie Wärme aus dem Untergrund oder auch aus industrieller Abwärme sind vielfältig. Auch Niedertemperaturwärme, Anergie-Netze oder Mikronetze können gute Lösungen darstellen“, fasst Kelz zusammen.

Für Martin Auer, KEM-Manager im Almenland, sind vor allem jene Maßnahmen interessant, die sich auch in den meist sehr kleinen Wärmenetzen seiner Region umsetzen lassen. „Nur in Passail verfügen wir über ein größeres Fernwärmenetz mit 5,5 MW und 18 Kilometer Netzlänge“, so Auer. In seiner KEM ist aber auch ein Unternehmen mit großen Abwärmemengen angesiedelt, für das Auer und das Projektteam an einem Konzept zur Wärmenutzung arbeiten.

„Für die KEM Klimaregion Hartberg war der erarbeitete digitale Wärmeatlas – inklusive räumlicher und tabellarischer Auswertungen zu Gebäudebestand und  Raumwärmeversorgung – von großem Wert. Erstmalig konnten wir auch in einem GIS-System fossile Heizungen und leitungsgebundene Infrastruktur besonders übersichtlich visualisieren und konkrete Handlungen ableiten“, schätzt KEM-Manager Anton Schuller das Leitprojekt FPO sehr.

Zielgerade. Raus aus Gas und Öl in Fernwärmenetzen kann nicht nur die Wärmegestehungskosten senken, der Umstieg auf lokal oder regional vorhandene Ressourcen stärkt auch die lokale Wertschöpfung und schont die Biomasse als wertvollen Rohstoff. Und natürlich spart das auch CO2 und verringert die lokalen Emissionen. Alleine durch die Abwasserwärmepumpe werden so etwa 1.000 Tonnen CO2 jährlich eingespart. Inhaltlich ist das zweijährige Leitprojekt nun abgeschlossen. Bis zum Sommer 2025 sollen der Projekt-Abschlussbericht und ein Leitfaden zur Multiplikation des erarbeiteten Prozesses vorliegen.

Weitere Informationen:
KEM-Leitprojekt „Fossil Phase Out“
Projektbeschreibung AEE INTEC
Stadtwerke Gleisdorf
Digitaler Atlas Steiermark