Erwünschte Nebenwirkungen der Energiewende

1 original R by Thorben Wengert

In der Klimaschutzarbeit stehen nur allzu oft trockene Zahlen im Mittelpunkt: Wie viel CO2 müssen wir einsparen, um wie viel können wir die Energieeffizienz steigern, wie viel erneuerbare Energie gewinnen? Doch sehr viele Klimaschutzprojekte erhöhen auch die Lebensqualität.

„Natürlich ist unser Umgang mit Energie der Schlüssel, um den Klimawandel zu bremsen“, erklärt Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds. „Was in der öffentlichen Diskussion aber viel zu kurz kommt, ist, dass die Klimawende auch eine ganze Reihe anderer positiver Effekte mit sich bringt – wirtschaftliche, ökologische und soziale.“

 

Green Jobs. „Während in den Medien immer wieder die Abwanderung der energieintensiven Industrie an die Wand gemalt wird, übersieht man die Chancen, welche die Energiewende gerade für Arbeitsplätze in sogenannten strukturschwachen Regionen bietet“, so Höbarth. Ob bei thermischen Gebäudesanierungen oder den noch weit umfassenderen Mustersanierungen, bei denen auch auf ökologische Materialien und den Einsatz erneuerbarer Energie geachtet wird, ob bei der Errichtung von Ökostromkraftwerken oder der Nutzung regionaler Biomasse – von jedem umgesetzten Projekt profitieren mehrere Branchen.

 

Eine Studie der Österreichischen Energieagentur im Auftrag des Klima- und Energiefonds zeigte am Beispiel Hartberg, dass sich die regionale Wertschöpfung beim Umstieg von Öl- und Gasheizungen auf Biomasse versechsfacht. Jeder Scheitholz-, Hackgut- oder Pelletskessel schafft also sechsmal so viele Arbeitsplätze in der Region wie eine Heizung mit fossilem Brennstoff. Jeder Arbeitsplatz vor Ort bedeutet auch: ein Pendler oder eine Pendlerin weniger. Kurze Wege zur Arbeit wiederum, sparen nicht nur Energie, sondern bringen auch mehr Zeit für Familie, Erholung und/oder soziale Aktivitäten.

 

Regionale Wertschöpfung. Umgekehrt wird auch der Klimaschutz zum erwünschten Nebeneffekt, etwa wenn die lokale oder regionale Wertschöpfung mit einer eigenen Lokal- oder Regionalwährung angekurbelt werden soll. Die Einführung der Langenegger Talente und die Gründung eines Dorfladens im Jahr 2008 führten dazu, dass deutlich mehr im eigenen Dorf eingekauft wurde – und die Menschen aus dem Vorzeigedorf in der KEM Vorderwald damit über die Jahre auch Tausende Pkw-Kilometer eingespart haben. Seit 2013 gibt es auch den NEUKI für Neukirchen an der Vöckla, seit Dezember 2016 den EnnsTaler. Ab Februar kann man in der KEM Thayaland bei zahlreichen Betrieben mit dem Thayaland-Zehner bezahlen.

 

In zahlreichen Klima- und Energie-Modellregionen wurde und wird die Straßenbeleuchtung auf energiesparende LED-Leuchten umgestellt. „Wir konnten durch unsere bisherigen Maßnahmen rund ein Drittel der Energiekosten für die Straßenbeleuchtung einsparen und werden noch mehr sparen, sobald die Umrüstung abgeschlossen ist“, rechnet Gerfried Koch, Energiereferatsleiter und KEM-Manager in Baden vor.

Lichtverschmutzung eindämmen. LED-Straßen- und Fassadenbeleuchtungen senken nicht nur die Energie- und Wartungskosten. Sie bieten auch die Chance, die Lichtverschmutzung in den Griff zu bekommen. Durch die richtige Anordnung der Leuchten werden die Straßen, aber nicht die Zimmer der AnrainerInnen beleuchtet, der Kirchturm, aber nicht der Himmel. LED-Licht lockt deutlich weniger Insekten – darunter bedrohte Nachtfalterarten – an als ältere Leuchtmittel. Davon profitieren nicht nur die Insekten selbst, sondern auch Tierarten, die sich von ihnen ernähren, zum Beispiel Fledermäuse.

 

Ebenfalls der Biodiversität dient das Humusaufbauprojekt der Ökoregion Kaindorf. Ganz direkt profitieren die Bodenlebewesen. Die LandwirtInnen wiederum erhalten für den Humusaufbau 30 Euro pro Tonne im Boden gebundenem CO2, heuer waren das insgesamt 70.000 Euro. Inzwischen hat sich Kaindorf im gesamten deutschsprachigen Raum einen Ruf als Vorreiter in nachhaltiger Landwirtschaft erworben – und so lockten die Humus-Tage von 16. bis 17. Jänner mehr als 400 interessierte Gäste aus sechs Ländern zu den Fachvorträgen. Kaindorf und der Humus sind wohl ein Paradebeispiel dafür, wie vielschichtig die positiven Begleiteffekte von Klimaschutzprojekten sein können.

 

Lernerfolg steigern. Besonders erfreulich sind auch die Nebenwirkungen, die sich in Schulen und Kindergärten entfalten, die im Zuge von Mustersanierungen mit einer kontrollierten Be- und Entlüftung ausgestattet wurden. Denn die frische Luft lässt Kinder und LehrerInnen weniger rasch ermüden. Dadurch – das zeigt eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen – steigt die Leistungsfähigkeit um fünf bis neun Prozent. Außerdem sinkt die Gefahr, sich im Klassenzimmer mit Grippe und anderen Krankheiten anzustecken, deutlich. Auch die Konzentration an Feinstaub und Allergenen in den Kindergärten und Schulen können durch den Einsatz entsprechender Filter drastisch reduziert werden.

 

Mitunter stellen Klima- und Energie-Modellregionen die positive Nebeneffekte der Energiewende auch in den Mittelpunkt ihrer Projekte. So spannte Martin Hesik, KEM-Manager in Wiener Neustadt, vor eineinhalb Jahren 22 ÄrztInnen und alle acht Apotheken für das Projekt „wn.radelt auf Rezept“ ein. Sie empfahlen das Radfahren als Beitrag zu einem gesünderen Leben.

 

Freiräume schaffen. „Von unseren 57 E-Carsharing-TeilnehmerInnen besitzen 17 kein eigenes Auto. Gerade hat sich eine Dame angemeldet, die nun in Pension geht und ihr Auto verkauft“, erklärt Koch. Wieder ein Auto weniger. Und jedes Auto weniger schafft vier mal zwei Meter mehr Platz. Vielleicht Platz für eine Parkbank, einen Fahrradständer oder einen Baum.