Radfahren als Selbstverständlichkeit

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Climate Experience 2.0. 20 Österreicher:innen mit Bezug zur aktiven Mobilität, darunter auch einige KEM-Manager:innen, reisten von 20. bis 24. Juni nach Utrecht und Amsterdam, um nachzuvollziehen, wie die Niederlande zur Nummer eins des Alltagsradverkehrs wurden – und was sich für die Steigerung des Radverkehrs hierzulande abschauen lässt.

„Man wird wirklich neidisch. Die Niederländer:innen leben das Radfahren, es ist politischer Konsens. Sie waren nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren so schlau, Straßen und Städte für das Rad auszulegen“, zeigt sich Christian Hummelbrunner, der KEM-Manager des Jahres, beeindruckt. Miriam Schönbrunn vom Klima- und Energiefonds staunte über „so viel Radverkehr“ und bemerkte deutliche Unterschiede zu Wien: „In den niederländischen Städten gibt es eine durchgehende und meist vom Autoverkehr baulich getrennte Radverkehrsinfrastruktur, und meistens sind die Wege mit dem Rad weitaus schneller zurückzulegen als mit dem Auto.“

In Österreich haben sich der Bund, zahlreiche Länder, Städte und Gemeinden (nahezu*) eine Verdoppelung des Radverkehrsanteils zum Ziel gesetzt. Doch dazu braucht es eine sichere und attraktive Radverkehrsinfrastruktur. „In den Niederlanden wird die aktive Mobilität in der Stadt- und Raumplanung mitbedacht – und bei der Flächennutzung in Ballungszentren wird eine entsprechende Verteilung vorgesehen“, sagt Schönbrunn.

Selbst erfahren. Die Teilnehmer:innen der Climate Experience 2.0 erhielten Informationen aus erster Hand. Adriaan van Doorn, Utrechts Bereichsleiter für aktive Mobilität, stellte das Ziel der Zehn-Minuten-Stadt bis 2040 vor. Das heißt, dass alle wichtigen Ziele – beispielsweise Bildungs-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen – mit dem Rad oder zu Fuß in nur zehn Minuten erreichbar sein sollen.

Nach einer Visite beim Fietserbond, dem niederländischen Gegenstück zur österreichischen Radlobby, teilten sich die Besucher:innen in Radler:innen und Fußgänger:innen auf. Besichtigt und ausprobiert wurden die Highlights der städtischen Fuß- und Radverkehrsinfrastruktur im Zentrum von Utrecht. Ein Höhepunkt war zweifellos die Besichtigung der weltweit größten Fahrradgarage beim Bahnhof. Sie bietet Abstellplätze für bis zu 12.500 Fahrräder.

Die Botschaft. Bei der Dutch Cycling Embassy ging es um grundsätzliche Strategien bei der Planung von Radverkehrsinfrastruktur – abgestimmt auf die verschiedenen Zielgruppen wie Alltagsradler:innen, Radpendler:innen sowie Freizeit- und Rennradfahrer:innen. In Workshops wurden Lösungsvorschläge für österreichische Beispielprojekte sowie in den Niederlanden praktizierte Modelle zur Beteiligung der Anrainer:innen diskutiert.

Am dritten Tag besuchte die österreichische Gruppe die Kleinstadt Houten, wo ebenfalls bereits Ende der 1970er-Jahre mit der Umgestaltung des öffentlichen Raumes begonnen wurde. Die Stadt verfügt über ein autofreies Zentrum in Bahnhofsnähe. Alle innerstädtischen Wege für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen wurden optimiert. Für die Autos der Einwohner:innen sind Sammelparkplätze am Rand des Siedlungskerns vorgesehen. Die Autozufahrt zu zentralen Bereichen ist durch einen Umfahrungsring bewusst unattraktiv gestaltet.

Auto als Gast. Den Abschluss der Exkursion bildete eine „Bicycle User Experience (BUX) Tour“ durch Amsterdam. Die Fußgänger:innen besichtigten einen „Buurthub“ – das sind städtische „Nachbarschaftsstationen“ zum Ausleihen von Fahrrädern und E-Autos. Alle Teilnehmer:innen zeigten sich nicht nur von der innerstädtisch und überregional durchgehenden Radverkehrsinfrastruktur beeindruckt, sondern auch von der einheitlichen roten Färbung, die – nicht zuletzt auch für sie als Radtourist:innen – keinen Zweifel daran ließ, wo der Radweg weiterführt. Und das Verkehrszeichen „fietsstraat – auto te gast“, also „Fahrradstraße – Auto als Gast“, wird wohl auch allen in Erinnerung bleiben.

Sybille Chiari (KEM Vöckla-Ager) war von den vielfältigen Eindrücken während der Radfahrten begeistert: „Wir konnten unterwegs sehen und erleben, wie und warum etwas so gemacht wurde.“ Schönbrunn und Hummelbrunner staunten über die „Experimentierfreude und die Fehlerkultur in den Niederlanden: „Die Städte trauen sich auch, neue Konzepte umzusetzen – und falls sich diese als nicht gelungen herausstellen, wird nach anderen Möglichkeiten gesucht.“

Für Michael Hilpert (KEM Carnica Rosental) war der größte Nutzen die Vernetzung mit den niederländischen Expert:innen und den österreichischen Teilnehmer:innen, die ebenfalls an der aktiven Mobilität arbeiten. Besonders beeindruckt haben ihn „Radwege mit bis zu vier Metern Breite, der Vorrang für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen sowie allgemein das andere Verständnis in der Planung und in der Bevölkerung. So wird die Bevorzugung des Rad- und Fußverkehrs in den Niederlanden von den meisten weniger als Klimaschutzmaßnahme, sondern als ein Schritt zu mehr Lebensqualität und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum gesehen.“

Gelerntes umsetzen. Die Reise ist nun zwar zu Ende, nicht aber die Climate Experience 2.0. Alle Teilnehmer:innen präsentieren schon bald bei einem verpflichtenden Implementierungstreffenkonkrete nächste Schritte für ihre eigenen Gemeinden, Städte und/oder Regionen, nämlich die geplanten Umsetzungen und Projekte fürs Gehen und Radeln. Etwa ein Jahr nach der Reise werden ihre Endpräsentationen zeigen, was von ihren Erfahrungen die Teilnehmer:innen in die heimische Praxis mitnehmen konnten. Was haben sie vor?

Christian Hummelbrunner: „Ich werde mir zuerst einige Bereiche herauspicken, wo die Geh- und Radinfrastruktur rasch verbessert werden kann. Im nächsten Jahr möchte ich mich für eine sichere Schulwegmobilität einsetzen. Aber mittelfristig brauchen wir auch in der Traunsteinregion ein durchgehendes Radnetz.“

Sybille Chiari: „In den Niederlanden ist der Planungsmaßstab der Mensch, nicht das Auto. So manche dort gewonnene Erfahrung wird auch in das Konzept für unser Alltagsradwegenetz einfließen. Wir müssen kritische Stellen entschärfen und möglichst baulich getrennte Radwege schaffen – und auch für dort, wo es dafür zu eng ist, habe ich gute Lösungen kennengelernt.“

Michael Hilpert: „In der nächsten Zeit werde ich viel mit meinen Bürgermeistern sprechen. Wir müssen herauszufinden, wo überall Verbindungen benötigt werden und welche Konzepte wir entwickeln. Mit drei Gemeinden arbeite ich schon an fahrradfreundlichen Gemeinden. Wir werden uns weiters den Bedarf an Radabstellplätzen ansehen. Aber auch bei der Bewusstseinsbildung ist noch viel zu tun. In Maria Wörth hatten wir heuer die erste Critical Mass**. Wir stehen noch ganz am Anfang, aber mit der Radlobby haben wir einen super Kooperationspartner.“

Miriam Schönbrunn: „Vom Autoverkehr abgetrennte Fahrradwege in Städten und auf dem Land erhöhen das Sicherheitsgefühl massiv. Österreichs Radnetz ist bislang noch sehr touristisch geprägt und hat noch großen Nachholbedarf beim Alltagsradverkehr.“ Vorbildlich sei in den Niederlanden auch die umfangreiche Erhebung von Verkehrsdaten, besonders auch bei neuen Radverkehrsanlagen, da diese bei weiteren Planungen helfen.

Förderung abholen. Unterstützung für Projekte zur Verbesserung der Fuß- und Radverkehrsinfrastruktur können sich Gemeinden und Regionen beim Aktionsprogramm klimaaktiv mobil – aktive Mobilität und Mobilitätsmanagement 2023 holen.

 

* Das Regierungsprogramm 2030-2024 sieht eine Steigerung des Radverkehrsanteils von 7 auf 13 Prozent vor.

** Critical Mass: eine besondere Form von Fahrraddemonstrationen