Wir brauchen eine ambitionierte Energie- und Klimastrategie

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Ingmar Höbarth, Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds, über den Klimaschutz in politisch bewegten Zeiten, über das Sorgenkind Verkehr und die vielfältigen Lösungsansätze, die in den österreichischen Klima- und Energie-Modellregionen entwickelt und umgesetzt werden.

KEM-Newsletter: Wir haben in den vergangenen Monaten viel über Flüchtlinge, Terror, und Wahlkämpfe gelesen – aber was hat sich seit dem Klimaabkommen von Paris bei der Energiewende getan?

Ingmar Höbarth: Paris war eine globale Weichenstellung, auf die Jahrzehnte hingearbeitet wurde. Diese Einigung von 195 Staaten wird hierzulande etwas unterschätzt. Die Botschaft lautet: Die Energiewende findet statt. Und sie ist vor allem in der Wirtschaft angekommen. Viele Unternehmen haben lange auf eine Entscheidung gewartet, aber nun ist klar, dass der Weg raus aus der fossilen Energie führt. Es bleibt nur die Frage, wie rasch die Energiewende vollzogen wird. Nach dem, was uns die Wissenschaft rät, kann es nicht schnell genug gehen.

2015 sind allerdings im Gegensatz zu den Jahren davor die österreichischen CO2-Emissionen wieder gestiegen.

Notwendig ist jetzt eine ambitionierte Energie- und Klimastrategie, an der auch gearbeitet wird. Es braucht einen Masterplan, wie die Klimaziele zu erreichen sind. Die Schwankungen der vergangenen Jahre sind vor allem witterungsbedingt und hängen davon ab, wie streng der Winter ausfällt. Ein generelles Problem haben wir bei der Mobilität. Die Motoren wurden zwar effizienter, doch gleichzeitig nahmen Hubraum und Leistung zu – und so steigen die Emissionen aus dem Verkehr seit Jahrzehnten. Immerhin haben wir in den Klima- und Energie-Modellregionen (KEM) einige Positiv-Beispiele, etwa im Bereich E-Car-Sharing, die sich in der Praxis bestens bewährt haben.
Diese Projekte werden meist von den KEM-ManagerInnen angestoßen, die Fahrzeuge von Gemeinden oder lokalen Vereinen angeschafft und dann gemeinschaftlich genutzt – privat, von GemeindemitarbeiterInnen und Firmen, oft aber auch im Sozialbereich, etwa für Essen auf Rädern. Diese Projekte erzeugen auch eine Gruppendynamik. Das Gemeinschaftsgefühl wächst, das Autoteilen rechnet sich und ist ökologisch. In vielen Region wurden inzwischen bereits mehrere Elektroautos zur gemeinsamen Nutzung angeschafft.

Apropos Verkehr. Als vor 25 Jahren der Eiserne Vorhang fiel und unzählige Trabis mit Zweitaktmotoren nach Österreich kamen, war die Aufregung um deren Abgase groß. Warum dröhnen bis heute Zweitakt-Mopeds über unsere Straßen, obwohl es längst vergleichsweise saubere Elektro-Scooter am Markt gibt?

Bei den unter 30-jährigen findet derzeit ein signifikanter Wertewandel statt. Der Trend geht weg vom Führerschein und Autobesitz mit 18. Andere Fortbewegungsformen vom Fahrrad bis zum Car-Sharing sind viel angesagter. Das gibt Hoffnung. Aber beim Verkehr geht es immer auch um Tiefenpsychologie. Mit dem Mopperl irgendwohin fahren ist für den jeweiligen Menschen ein Stück Freiheit. Und das traut sich noch kaum jemand anzugreifen. Ein Paradigmenwechsel findet statt, aber das dauert noch einige Zeit.

Können wir von Norwegen etwas für die österreichische E-Mobilität lernen?

Norwegen ist diesbezüglich ein ganz spezielles Biotop. Das Land hatte jahrzehntelang hohe Einkommen aus dem Erdölgeschäft und subventioniert damit die Elektromobilität. So gesehen ist dieses Modell nicht eins zu eins auf Österreich umlegbar. Was man sich aber sehr wohl abschauen kann, ist die Hebelwirkung, die durch Förderungen aber auch Begünstigungen wie das Mitbenützen von Busspuren oder spezielle Parkplätze für E-Mobile erreichen kann. Wir müssen jetzt aber auch das Signal setzen, dass Elektromobilität alltagstauglich und leistbar ist. Ein E-Auto kostet über seine Lebensdauer nicht mehr als ein Benzin- oder Dieselfahrzeug – allerdings rechnen sich das noch die wenigsten Menschen durch.

Und jetzt bitte blicken Sie tief ins Orakel und sagen Sie mir: Wann werden in Österreich erstmals mehr Elektroautos als Benziner und Diesel zugelassen werden?

Das ist sehr schwierig zu sagen. Wenn man sich ansieht, wie rasant sich die Geschäftswelt nach der Entwicklung des Smartphones verändert hat, kann so etwas sehr schnell gehen. Ich fürchte, dass die Automobilindustrie ein wenig träger ist, doch auch sie hat in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. Nachdem Elon Musk mit dem Tesla vorgeprescht ist, bieten heute fast alle großen Automobilkonzerne Elektrofahrzeuge an.
Wir schließen heuer auch das Programm der sieben E-Mobilitäts-Modellregionen erfolgreich ab und können nun das Basiswissen liefern, wie man Elektromobilität zur Zufriedenheit der Bevölkerung einführt. Das reicht vom Thema Ladeinfrastruktur über E-Car-Sharing und elektrische Nutzfahrzeuge bis zur Verknüpfung von Fahrrad, E-Bike oder E-Mobil mit der Bahn.

Gibt es neue Klimafonds-Programme, die auch für die Klima- und Energie-Modellregionen interessant sein könnten?

Was sehr erfreulich läuft, ist die Start-up-Initiative greenstart. Die Idee dazu ist aus den Klima- und Energie-Modellregionen gekommen – und die JungunternehmerInnen wirken mit ihren grünen Geschäftsmodellen auch wieder positiv auf die Modellregionen zurück und können dort ihre KundInnen gewinnen. Der Großteil der Top-Ten-Start-ups aus der ersten Ausschreibung hat den Sprung in den Markt geschafft. Für den aktuellen Wettbewerb wurden erstmals auch Start-ups aus dem Bereich Landwirtschaft gesucht. Die zahlreichen Einreichungen haben mir die Augen geöffnet, wie cool Landwirtschaft wirklich sein kann.

Welche KEM-Projekte beeindrucken Sie am meisten?

Das Engagement der österreichweit 99 KEM-ManagerInnen ist phantastisch. Sie verwandeln den abstrakten Begriff Energiewende in konkrete Projekte. Seit 2009 sind inzwischen mehr als 3.000 Projekte in Umsetzung. Alle Projekte sind für die jeweilige Region sehr wichtig, umso mehr, als sie immer häufiger durch regionale Pressearbeit begleitet werden und so zur Bewusstseinsbildung beitragen. Noch besser wirken natürlich Projekte, in denen die Menschen direkt einbezogen werden. Wenn Kinder etwa in einer mustersanierten Schule sitzen oder an einem Klimaschulenprojekt teilnehmen, dann bringen sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse natürlich auch heim zu ihren Eltern.
Eine Reihe dieser Projekte wurden bereits zum Österreichischen Klimaschutzpreis nominiert und die SchülerInnen der Neuen Mittelschule Weißenbach/Enns gewannen heuer den Klimaschutzpreis 2016. Und gerade eben wurde ein Projekt der KEM Wiener Neustadt mit dem VCÖ-Mobilitätspreis Niederösterreich ausgezeichnet.
Zu einer der besten Ideen der vergangenen Jahre zählt auch die 2015 erstmal durchgeführte Wahl zum KEM-Manager beziehungsweise zur KEM-Managerin des Jahres und zum KEM-Projekt des Jahres. Denn dadurch können großartige Leistungen und besonders engagierte VorkämpferInnen der Energiewende nochmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden.


Danke für das Gespräch.